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2021-08-03 14:11:30 +02:00

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11 KiB
Markdown

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title = "Viel Neues"
author = ["Valentin Boettcher"]
date = 2017-04-13T07:46:00+02:00
categories = ["Neuseeland"]
draft = false
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Welch turbulente Tage. Nach einer großen Panik, die sich bei mir
schon das ganze Wochenende mit einem Unwohlsein angekündigt hat, sitze
ich jetzt auf der Rückbank unseres sehr kleinen Campervans und habe
ein wenig Ruhe, um endlich mal wieder von meinen Abenteuern zu
berichten. Die erste Nacht ist erstaunlich komfortabel überstanden und
ich bin wieder entspannt :).
Den letzten Monat habe ich noch einmal etwas Neues ausprobiert und
mich ins kalte Wasser gestürzt. Und wirklich, ich habe mich am ersten
Abend gefragt, was ich mir eigentlich gedacht habe. Harsch enttäuscht
von Dunedin und überwältigt von der Aussicht, einen Monat einmal ganz
für mich allein zu sorgen, sah ich am ersten Abend wirklich kein
Licht. Ein paar Tage später war meine "Reisekrankheit" aber auch schon
wieder kuriert. Ich hatte mich in Hogwartz, dem Hostel in dem ich
arbeitete, eingelebt und auch mit meiner Programmierarbeit ging es
voran. Zu meinen Kollegen im Hostel konnte ich zuerst keinen Draht
finden und besonders Lukas, ein Musiker und Programmierer, gab sich
sehr verschlossen. Ich fand jedoch recht schnell heraus, dass jeder,
außer einem Langzeitgast des Hostels, dasselbe Problem hatte und
knüpfte darauf hin schnell Freundschaften mit zwei Belgierinnen. Im
Allgemeinen war ich überrascht, wie gesselig ich mich auf einmal in
der Flut der neuen Menschen, die jeden Tag über mich hereinbrach,
verhielt. So unternahm ich regelmäßig Ausflüge und immer fand sich
genug Gesellschaft, um mein Auto zu füllen. Es gibt diesen ganz
bestimmten schlag von jungen Reisenden, die sich immer mit uns (der
Belegschaft) in der kleinen und meist übersehenden Küche neben der
Großküche zusammenfanden und mit denen man immer prächtig auskam. In
besagter Küche, die ich auf Grund ihrer geringen Popularität immer
ganz für mich selbst hatte, konnte ich nach Herzenslust Kochen, Braten
und Backen, ohne mich in Rivalitäten um Töpfe und Herdplatten zu
verstricken. Auch wenn ich zuvor schon gelegentlich ein paar Nudeln
eingeweicht und Fertiggerichte nach Anleitung zubereitet hatte, konnte
ich nicht auf einen großen Erfahrungsschatz zurückblicken. Es sei mir
das Eigenlob vergeben, aber ich meine, mich sehr gut geschlagen zu
haben. Von Bolognese über gebackene Kumara bis hin zur Lasagne hatte
ich nicht unter Nahrungsmangel zu leiden. Und im Kühlschrank stapelte
sich das im ersten Einkauf erstandene Toastbrot, denn gleich an meinem
ersten Tag hatte ich wieder angefangen Brot zu backen. In Wirklichkeit
ist Brotbacken ziemlich einfach, aber sehr lohnend und schindet
deswegen nur umso mehr Eindruck. Fleißig teilte ich mein Brot und mein
Wissen, war aber der Einzige, der bis zum Ende alle halbe Woche Brot
buk.
Welch bemerkenswerte Phänomene durfte ich in unserem kleinen
(mittelgroße) Hostel beobachten. Wenn man sieben Uhr aufstand, hatte
man das ganze Hostel für sich, um acht konnte man den Schleier der
Trägheit noch förmlich sehen und in meinem sehr dunklen aber
gemütlichen Schlafzimmer konnte ich des Öfteren selbst um zehn Uhr
nicht staubsaugen, weil einige besonders bequeme Individuen, immer
noch in ihren Betten ruhten. Reisende sind ein lustiges Volk,
besonders die Sorte, die mehrere Monate unterwegs ist. Hört man die
Geschichten eines solchen Weltenbummlers, so kann man sich kaum
vorstellen, wie auf Reisen auch nur ein Tag ohne neue, atemberaubende
und phänomenale Eindrücke vergehen kann. In Wirklichkeit kam mir der
Eindruck, das die meisten Tage solcher Menschen von an Lethargie
grenzender Trägheit gekennzeichnet sind. Relativierend muss ich aber
gestehen, dass dieser Eindruck wahrscheinlich von Extremfällen
herrührt, die am Ende der Saison nicht mehr mit der alten Energie
umherziehen. Ich selbst hatte, da man erst um 10 Uhr zur Arbeit
antrat, alle mühe, meinen Schlafrhythmus aufrecht zu erhalten.
Wie dem auch sei. Besonders ein besonders bemerkenswertes Exemplar des
Homo Instrenuus wurde mir zu einem guten Freund, auch wenn ich ihren
Namen immer noch nicht kenne. Sie, eine Chinesin, entfloh dem Stress,
kahm für ein Jahr nach Neuseeland und blieb dann irgendwie in Dunedin
hängengeblieben. Auch wenn ihre Ansichten zur "Partei" sehr chinesisch
sind, war sie doch als biertrinkender Fußballfan so ganz und gar
untypisch. Ich konnte ihr, die sie ihren Lebtag noch kein Saxophon
gesehen oder gar gehört hatte, mit meinem Saxophonspiel eine große
Freude machen. Das ging soweit, dass ich eines Abends, nachdem wir in
einem sehr schönen Café namens "The Dog with two Tails" (Sehr
untypisch wollte Sie mir unbedingt einen Drink ausgeben. Ich habe das
Bier probiert, konnte aber immer noch nichts daran finden.) waren,
mitten im nächtlichen Stadtzentrum herumjazzte. Nachdem wir eines
anderen Abends zum beeindruckend kunstvollen Choral Evensong in der
wunderbar hellen neogotischen Kathedrale gepilgert waren, fragte
erstaunte ich Sie mit meiner Ansicht, das Reich Gottes würde niemals
kommen. Nicht, dass ich der Menschheit besonders zynisch
gegenüberstehe, aber es ist so, dass sich Religion über das Streben
zum besseren definiert. Ohne dieses Streben verlören die Menschen
recht schnell die Motivation ihr Paradies aufrecht zu
erhalten. Vielleicht ist es also besser wenn, zumindest für die
jetzigen Menschen, das Reich Gottes unerreichbar bleibt. Wir leben in
interessanten Zeiten, in denen Religion teilweise an Signifikanz
verliert und wir Chancen haben, Religion ohne Autorität und Zwang in
ihren guten Seiten zu entdecken. Die Tage der Chinesin entwickeln sich
zu einem Rhytmus von besorgniserregender Abnormalität und ich hoffe,
dass Sie sich selbst etwas Gutes tut und weitergezogen ist, wenn wir
wieder in Dunedin sind.
Auch wenn man sich nach fünf Tagen Toilettenputzen entsprechend
motiviert fühlt, war die Hostel Arbeit, wenn auch keine angenehme,
aber doch eine interessante Angelegenheit. Abendliche Jammsessions,
komfortable Betten, nette Besitzer und eine gemütliche Atmosphäre
machten mir das Hostel zu einem hervorragenden Heim. Als ich dann auch
noch ein (sehr klappriges) Fahrrad leihen durfte, mit dem ich zum
Arbeiten (Programmieren) in die schmucke und sehr ruhige
Universitätsbibliothek fahren konnte, war mein Glück Perfekt. Am
ersten Tage mit dem Fahrad habe ich das Fliegen und meinen Schutzengel
kennengelernt! Wie immer grub ich mir selbst ein paar löcher und
grämte mich des Öfteren, sodass mir erst, als ich die letzten Tage in
einem nicht so angenehmen Hostel verbrachte, bewusst wurde, wie gut
ich es hatte und welche Erfahrung ich gesammelt habe. Auch mein
Programmierjob brachte mir einen unermesslichen Schatz an Erfahrung,
der mir jetzt ermöglicht an einer Open-Source Planetariumssoftware
mitzuwirken. Schon auf der Banks Peninsula habe ich Grundsteine
gelegt, fleißig C++ gebüffelt und mich in QT geübt.
Sehr schöne drei Wochen wahren das. Wenn wir nicht gerade ****in**** den
Wolken lagen (Ich wollte schon immer mal wissen, wie das ist :P, aber
man wird dem Nebel schnell überdrüssig.), hatten wir eine wunderbare
Sonne und ich konnte sogar ein paar mal vom Anleger aus in die kühle
und tropisch blaue See hüpfen. Auf unserem Hügel sah ich
Sonnenuntergänge und genoss so manchen Tee auf der Veranda. Noch nie
war ich so glücklich über mein Auto, denn ohne ist man auf der
Halbinsel verloren. James Cook hielt den ehemaligen Vulkan sogar für
eine Insel und taufte Sie, nach seinem Bortbotaniker Joseph Banks, die
"Banks Island". Auch als ich das Land mit Panoramablick auf einem der
dortigen Hügel examinierte, konnte ich mir nur schwerlich vorstellen,
dass ich auf den Überresten eines mehrere tausend Meter hohen Vulkans
stehe. Bei genauerem hinsehen kann man jedoch erkennen, das diese
zerklüfteten Hügel, die eine Halbinsel aus tentakelartigen Landzungen
bilden und im Flachland von Canterbury so fehl am Platz wirken,
Vulkanischen Ursprungs sein müssen.
Des weiteren kam ich in den Genuss der Gesellschaft eines
sympathischen, französischen Game-Developers. Nachdem ich Raphael, so
ist sein Name, mächtig über die Spielentwicklung ausquetscht hatte,
war ich sehr erstaunt, wie viel wissenschaftliche Forschung hinter der
Computergrafik steckt, auch wenn ich so etwas schon geahnt hatte
(verweis auf das National Geographic Magazin in Greymouth). Dem
schlossen sich viele Diskussionen über Politik, soziales und sogar die
Kernfusion an und ich verstehe nun, warum er am Sinn seiner Arbeit als
Game Developer zweifelt und Bienen züchten will. (Welchen Dienst tut
man an der Gesellschaft, indem man den Tag vor dem Computer verbringt,
um anderen zu ermöglichen, das gleiche zu tun und die unmittelbaren
Probleme zu vergessen. Auch wenn Ich glaube, das allein die Freude,
die man sich und anderen bringt, gewissermaßen ausgleichend wirkt. Die
Dosis macht das Gift. Auch sollte man bemerken, dass die Welt auch bei
all den Problemen nicht unbedingt vor die Hunde gehen muss. Wenn man
beispielsweise Projekte wie Wikipedia betrachtet wird klar, dass
Menschen nicht für Geld sondern aus eigenem Interesse arbeiten
können. Ferner ist die Qualität dieser Arbeit meist sogar erstaunlich
hoch. So etwas wie Open Source dürfte intuitiv gesehen eigentlich gar
nicht funktionieren, in der Realität jedoch entsteht
Erstaunliches. Komplexe Systeme, wie unser Gehirn, ein Bienenstock
oder eben Kollaboration, lassen sich weder reduktionistisch durch das
Beschreiben der einzelnen Bestandteile, noch durch die holistische
Betrachtung des Ganzen verstehen. Besonders für uns Menschen, die an
bewusste Kontrolle und Planung als menschliche Errungenschaft gewöhnt
sind, ist es schwer zu akzeptieren, dass solche stabilen und
produktiven Systeme sich zwangsläufig so gefügt (adaptiert) haben,
dass sie funktionieren. Das hat doch fast etwas Poetisches, wenn man
die Logik des Anthropischen Prinzips vernachlässigt.) Über dieses und
weiteres konnte man sich Prima Austauschen. So gut sogar, dass wir
zuletzt nicht mehr zusammen arbeiten durften, weil wir nur noch
quatschten. So mussten wir uns auf Spatziergänge und Wanderungen
Verlegen :).
Viele Ausflüge wurden unternommen: Ich wanderte, ich hörte Konzerte
und ich habe sogar eine gratis Tour zu den Albatrossen auf der Otago
Peninsula gemacht (zur Webcam, für die ich programmiert habe). Ich
habe viel gelernt. Und ich hatte viel Freude. Ich bitte die so
spärliche Berichterstattung zu verzeihen, aber es ist so schwer,
Schritt zu halten.
Jetzt geht es eine Runde Reisen mit Mama, Noemi und Falko :). Auch
wenn jeder vom Wetter etwas vom Wetter und der Umstellung angereizt
ist, wird es bestimmt ein Spaß.
Zur Reiseberichterstattung verweise ich fauler Weise einmal an Falkos
Blog: <http://nz2017.trojahn.de>
Gehabt euch gut ;)