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2021-12-04 20:12:47 +01:00
\chapdate{13.04.2017}
\chapter{Viel Neues}
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\mycap{Blick auf Dunedin}
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Welch turbulente Tage. Nach einer großen Panik, die sich bei mir schon
das ganze Wochenende mit einem Unwohlsein angekündigt hat, sitze ich
jetzt auf der Rückbank unseres sehr kleinen Campervans und habe ein
wenig Ruhe, um endlich mal wieder von meinen Abenteuern zu berichten.
Die erste Nacht ist erstaunlich komfortabel überstanden und ich bin
wieder entspannt :).
Den letzten Monat habe ich noch einmal etwas Neues ausprobiert und mich
ins kalte Wasser gestürzt. Und wirklich, ich habe mich am ersten Abend
gefragt, was ich mir eigentlich gedacht habe. Harsch enttäuscht von
Dunedin und überwältigt von der Aussicht, einen Monat einmal ganz für
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mich allein zu sorgen, sah ich am ersten Abend wirklich kein Licht.
Ein paar Tage später war meine ``Reisekrankheit'' aber auch schon wieder
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kuriert. Ich hatte mich in Hogwartz, dem Hostel, in dem ich arbeitete,
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eingelebt und auch mit meiner Programmierarbeit ging es voran. Zu
meinen Kollegen im Hostel konnte ich zuerst keinen Draht finden und
besonders Lukas, ein Musiker und Programmierer, gab sich sehr
verschlossen. Ich fand jedoch recht schnell heraus, dass jeder, außer
einem Langzeitgast des Hostels, dasselbe Problem hatte und knüpfte
darauf hin schnell Freundschaften mit zwei Belgierinnen.
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\includegraphics[width=\textwidth]{22/sunset.JPG}
\mycap{Sonnenuntergang am Sandfly-Beach bei Dunedin}
\end{figure}
Im Allgemeinen war ich überrascht, wie gesellig ich mich auf einmal in
der Flut der neuen Menschen, die jeden Tag über mich hereinbrach,
verhielt. So unternahm ich regelmäßig Ausflüge und immer fand sich
genug Gesellschaft, um mein Auto zu füllen. Es gibt diesen ganz
bestimmten Schlag von jungen Reisenden, die sich immer mit uns (der
Belegschaft) in der kleinen und meist übersehenen Küche neben der
Großküche zusammenfanden und mit denen man immer prächtig auskam.
In besagter Küche, die ich auf Grund ihrer geringen Popularität immer
ganz für mich selbst hatte, konnte ich nach Herzenslust Kochen, Braten
und Backen, ohne mich in Rivalitäten um Töpfe und Herdplatten zu
verstricken. Auch wenn ich zuvor schon gelegentlich ein paar Nudeln
eingeweicht und Fertiggerichte nach Anleitung zubereitet hatte, konnte
ich nicht auf einen großen Erfahrungsschatz zurückblicken. Es sei mir
das Eigenlob vergeben, aber ich meine, mich sehr gut geschlagen zu
haben.
\begin{figure}[h]
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\includegraphics[width=\textwidth]{22/bread.JPG}
\end{figure}
Von Bolognese über gebackene Kumara bis hin zur Lasagne hatte ich
nicht unter Nahrungsmangel zu leiden. Und im Kühlschrank stapelte sich
das im ersten Einkauf erstandene Toastbrot, denn gleich an meinem
ersten Tag hatte ich wieder angefangen Brot zu backen. In Wirklichkeit
ist Brotbacken ziemlich einfach, aber sehr lohnend und schindet
deswegen nur umso mehr Eindruck. Fleißig teilte ich mein Brot und mein
Wissen, war aber der Einzige, der bis zum Ende alle halbe Woche Brot
buk.
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Welch bemerkenswerte Phänomene durfte ich in unserem kleinen
(mittelgroßen) Hostel beobachten. Wenn man sieben Uhr aufstand, hatte
man das ganze Hostel für sich. Um acht konnte man den Schleier der
Trägheit noch förmlich sehen. Und in meinem sehr dunklen, aber
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gemütlichen Schlafzimmer konnte ich des öfteren selbst um zehn Uhr
nicht staubsaugen, weil einige besonders bequeme Individuen immer noch
in ihren Betten ruhten.
Reisende sind ein lustiges Volk, besonders die Sorte, die mehrere
Monate unterwegs ist. Hört man die Geschichten eines solchen
Weltenbummlers, so kann man sich kaum vorstellen, wie auf Reisen auch
nur ein Tag ohne neue, atemberaubende und phänomenale Eindrücke
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vergehen kann. In Wirklichkeit sind die meisten Tage solcher Menschen
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von an Lethargie grenzender Trägheit gekennzeichnet. Relativierend
muss ich aber gestehen, dass dieser Eindruck wahrscheinlich von
Extremfällen herrührt, die am Ende der Saison nicht mehr mit der alten
Energie umherziehen. Ich selbst hatte, da man erst um 10 Uhr zur
Arbeit antrat, alle Mühe, meinen Schlafrhythmus aufrecht zu erhalten.
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\includegraphics[width=.4\textwidth]{22/cathedral.JPG}
\mycap{Dunedin Cathedral}
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Wie dem auch sei. Besonders ein bemerkenswertes Exemplar des Homo
Instrenuus wurde mir zu einem guten Freund, auch wenn ich ihren Namen
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immer noch nicht kenne. Sie, eine Chinesin, entfloh dem Stress, kam
für ein Jahr nach Neuseeland und blieb dann irgendwie in Dunedin
hängen. Auch wenn ihre Ansichten zur ``Partei'' sehr chinesisch
anmuteten, war sie doch als biertrinkender Fußballfan so ganz und gar
untypisch.
Ich konnte ihr, die sie ihren Lebtag noch kein Saxophon
gesehen oder gar gehört hatte, mit meinem Saxophonspiel eine große
Freude machen. Das ging soweit, dass ich eines Abends, nachdem wir in
einem sehr schönen Café namens ``The Dog with two Tails'' (sehr
untypisch wollte Sie mir unbedingt einen Drink ausgeben. Ich habe das
Bier probiert, konnte aber immer noch nichts daran finden.) waren,
mitten im nächtlichen Stadtzentrum herumjazzte.
Nachdem wir eines anderen Abends zum beeindruckend kunstvollen Choral
Evensong in der wunderbar hellen neogotischen Kathedrale gepilgert
waren, erstaunte ich Sie mit meiner Ansicht, das Reich Gottes würde
niemals kommen. Nicht, dass ich der Menschheit besonders zynisch
gegenüberstehe, aber es ist so, dass sich Religion über das Streben
zum Besseren definiert. Ohne dieses Streben verlören die Menschen
recht schnell die Motivation ihr Paradies aufrecht zu
erhalten. Vielleicht ist es also besser, wenn zumindest für die
jetzigen Menschen das Reich Gottes unerreichbar bliebe. Wir leben in
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interessanten Zeiten, in denen Religion teilweise an Signifikanz
verliert und wir Chancen haben, Religion ohne Autorität und Zwang in
ihren guten Seiten zu entdecken. Die Tage der Chinesin entwickeln sich
zu einem Rhythmus von besorgniserregender Abnormalität und ich hoffe,
dass Sie sich selbst etwas Gutes tut und weitergezogen ist, wenn wir
wieder in Dunedin sind.
Auch wenn man sich nach fünf Tagen Toilettenputzen entsprechend
motiviert fühlt, war die Hostel Arbeit, wenn auch keine angenehme, aber
doch eine interessante Angelegenheit. Abendliche Jammsessions,
komfortable Betten, nette Besitzer und eine gemütliche Atmosphäre
machten mir das Hostel zu einem hervorragenden Heim. Als ich dann auch
noch ein (sehr klappriges) Fahrrad leihen durfte, mit dem ich zum
Arbeiten (Programmieren) in die schmucke und sehr ruhige
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Universitätsbibliothek fahren konnte, war mein Glück perfekt.
Am ersten Tage mit dem Fahrad habe ich das Fliegen und meinen
Schutzengel kennengelernt! Wie immer grub ich mir selbst ein paar
Löcher und grämte mich des öfteren, sodass mir erst, als ich die
letzten Tage in einem nicht so angenehmen Hostel verbrachte, bewusst
wurde, wie gut ich es hatte und welche Erfahrung ich gesammelt
habe. Auch mein Programmierjob brachte mir einen unermesslichen Schatz
an Erfahrung, der mir jetzt ermöglicht an einer Open-Source
Planetariumssoftware mitzuwirken.
Schon auf der Banks Peninsula habe ich Grundsteine gelegt, fleißig C++
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gebüffelt und mich in QT geübt.
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\includegraphics[width=\textwidth]{22/pigeon.JPG}
\mycap{Blick auf die Pigeon-Bay auf der Banks-Peninsula}
\end{figure}
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Sehr schöne drei Wochen waren das. Wenn wir nicht gerade
\textbf{\textbf{in}} den Wolken lagen (ich wollte schon immer mal
wissen, wie das ist :P, aber man wird des Nebels schnell überdrüssig.),
hatten wir eine wunderbare Sonne und ich konnte sogar ein paar Mal vom
Anleger aus in die kühle und tropisch blaue See hüpfen. Auf unserem
Hügel sah ich Sonnenuntergänge und genoss so manchen Tee auf der
Veranda. Noch nie war ich so glücklich über mein Auto, denn ohne ist man
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auf der Halbinsel verloren.
James Cook hielt den ehemaligen Vulkan sogar für eine Insel und taufte
Sie, nach seinem Bortbotaniker Joseph Banks, die ``Banks Island''. Auch
als ich das Land mit Panoramablick auf einem der dortigen Hügel
examinierte konnte ich mir nur schwerlich vorstellen, dass ich auf den
Überresten eines mehrere tausend Meter hohen Vulkans stehe. Bei
genauerem Hinsehen kann man jedoch erkennen, das diese zerklüfteten
Hügel, die eine Halbinsel aus tentakelartigen Landzungen bilden und im
Flachland von Canterbury so fehl am Platz wirken, vulkanischen
Ursprungs sein müssen.
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\begin{figure}[h]
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\includegraphics[width=\textwidth]{22/landing.JPG}
\mycap{Der Steg in der Pigeon-Bay}
\end{figure}
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Des weiteren kam ich in den Genuss der Gesellschaft eines sympathischen
französischen Game-Developers. Nachdem ich Raphael, so ist sein Name,
mächtig über die Spielentwicklung ausquetscht hatte, war ich sehr
erstaunt, wie viel wissenschaftliche Forschung hinter der Computergrafik
steckt, auch wenn ich so etwas schon geahnt hatte (Verweis auf das
National Geographic Magazin in Greymouth). Dem schlossen sich viele
Diskussionen über Politik, Soziales und sogar die Kernfusion an und ich
verstehe nun, warum er am Sinn seiner Arbeit als Game Developer zweifelt
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und Bienen züchten will.
Welchen Dienst tut man an der Gesellschaft, indem man den Tag vor dem
Computer verbringt, um anderen zu ermöglichen, das Gleiche zu tun und
die unmittelbaren Probleme zu vergessen. Auch wenn ich glaube, dass
allein die Freude, die man sich und anderen bringt, gewissermaßen
ausgleichend wirkt. Die Dosis macht das Gift.
Auch sollte man bemerken, dass die Welt auch bei all den Problemen
nicht unbedingt vor die Hunde gehen muss. Wenn man beispielsweise
Projekte wie die Wikipedia betrachtet wird klar, dass Menschen nicht
für Geld sondern aus eigenem Interesse arbeiten können. Ferner ist die
Qualität dieser Arbeit meist sogar erstaunlich hoch. So etwas wie Open
Source dürfte intuitiv gesehen eigentlich gar nicht funktionieren, in
der Realität jedoch entsteht Erstaunliches.
Komplexe Systeme, wie unser Gehirn, ein Bienenstock oder eben
Kollaboration, lassen sich weder reduktionistisch durch das
Beschreiben der einzelnen Bestandteile, noch durch die holistische
Betrachtung des Ganzen verstehen. Besonders für uns Menschen, die an
bewusste Kontrolle und Planung als menschliche Errungenschaft gewöhnt
sind, ist es schwer zu akzeptieren, dass solche stabilen und
produktiven Systeme sich zwangsläufig so gefügt (adaptiert) haben,
dass sie funktionieren. Das hat doch fast etwas Poetisches, wenn man
die Logik des anthropischen Prinzips vernachlässigt.
\begin{figure}[h]
\centering
\includegraphics[width=\textwidth]{22/raphael.JPG}
\mycap{Raphael}
\end{figure}
Über dieses und weiteres konnte man sich prima austauschen. So gut
sogar, dass wir zuletzt nicht mehr zusammen arbeiten durften, weil wir
nur noch quatschten. So mussten wir uns auf Spaziergänge und
Wanderungen verlegen :).
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Viele Ausflüge wurden unternommen: ich wanderte, ich hörte Konzerte und
ich habe sogar eine Gratis-Tour zu den Albatrossen auf der Otago
Peninsula gemacht (zur Webcam, für die ich programmiert habe). Ich habe
viel gelernt. Und ich hatte viel Freude. Ich bitte die so spärliche
Berichterstattung zu verzeihen, aber es ist so schwer, Schritt zu
halten.
Jetzt geht es eine Runde reisen mit Mama, Noemi und Falko :). Auch wenn
jeder vom Wetter und der Umstellung etwas angereizt ist, wird es
bestimmt ein Spaß.
Zur Reiseberichterstattung verweise ich fauler Weise einmal an Falkos
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Blog. Gehabt euch gut ;)