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\chapdate{23.11.2016}
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\chapter{Fiji}
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Frisch aus dem Urlaub im Urlaub.
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Ich grüße von Fiji, denn ich schreibe diesen Eintrag schon auf der
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Insel und veröffentliche ihn erst jetzt. Ein paar wunderbare und
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sehr komfortable Tage waren es. Wir wohnen hier in einem sehr schönen
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Ferienhaus mit Pool, Meeresblick (bzw. Sonnenuntergangsblick) und
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erfrischender Brise zur Abendstunde. Viel Entspannung und viel
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Freizeit. Das ganze erinnert mich an Gozo mit ein bisschen mehr grün,
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aber der gleichen Hitze.
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\begin{figure}[h]
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\centering
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\includegraphics[width=\textwidth]{12/view.JPG}
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\mycap{Aussicht von unserm Domiziel.}
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\end{figure}
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Wir haben auch zwei ``Bedienstete'', die das Haus in Ordnung halten
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und kochen. Auch wenn sie für Bezahlung arbeiten, so kann ich es doch
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nicht ab, bedient zu werden als stände ich über anderen. Nun überfällt
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mich also immer ein gewisses Unbehagen, wenn ich sie arbeiten sehe und
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ich versuche ab und an zu helfen.
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Als wir am ersten Tag in die Stadt fuhren, um einzukaufen, durfte ich
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erfahren, was ein echter Markt ist: viele kleine Stände mit frischem
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Gemüse und allerhand interessanten Kleinigkeiten. Um die nötigen
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Preisverhandlungen kümmerte sich unserer lokaler Führer Stanley. Auf
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dem Weg zurück fiel mir dann auf, wie arm das Land Fiji ist. Der
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Großteil der Bevölkerung lebt in Wellblechhütten und unsere
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``Bediensteten'' schätzen sich mit einen überdurchschnittlich hohen
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Monatslohn von umgerechnet weniger als 300 Euro glücklich, wobei die
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Lebensmittelpreise auch gesalzen sind.
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Da ich gerade die Beweismethode der vollständigen Induktion verstanden
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hatte, suchte mein Geist nach einem neuen Problem und so stürzte mich
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die Ungleichheit auf der Welt in eine tiefe Verzweiflung. Wie kann es
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sein, dass ich so ein Glück habe und in Fiji auf einem Hügel (ja, auch
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im geographischen Sinne) über den in Armut Lebenden Urlaub mache. Wie
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kann es sein, dass ich mir dieser Ungerechtigkeit bewusst war und dass
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sie mich aber nicht schon früher zur Verzweiflung getrieben hat. Wenn
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nur die geringste Möglichkeit besteht etwas ändern zu können, warum
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sollte ich nicht meine ganze Kraft darauf verwenden, anstatt zu
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entspannen. Nun, da ich bei diesen Fragen zu keiner
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zufriedenstellenden Lösung kam, rumorte das Thema in meinen Gedanken
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(und im Chat mit Nicolai, der sich das gleiche schon etwas früher als
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ich gefragt hat).
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Arme und unterentwickelte Länder bleiben unterentwickelt und werden
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ärmer. Nur, wenn wir ``entwickelten'' in unserem Eigennutz genau diese
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Umstände ausnutzen und geringe Löhne zahlen (siehe unsere
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``Bediensteten'') oder Land kaufen, um dann große Villen mit den
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eigenen Arbeitern anstatt den einheimischen zu bauen. All das zu
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verhindern ist schwierig, aber nicht unmöglich, wenn man im Alltag
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bewusster darauf achtet, wo denn all das Zeug, was man so günstig
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kauft, herkommt. Auch sollte man natürlich nicht wirtschaften, um
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eigennützig Reichtum zu akkumulieren und auch einmal an andere denken.
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All das entspricht so ziemlich der christlichen (oder allgemein
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religiösen) Lehre und wir tun nach wie vor gut daran, danach zu leben.
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Ok, andere nennen das dann eben unsere ``Werte''. Man vergisst das
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alles aber sehr schnell und erkennt es nur wieder, wenn man mit der
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Nase darauf gestoßen wird. Ich mit meiner kleinen Reise nach
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Neuseeland habe ja noch eigennütziger gehandelt, hätte ich ja auch
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nach Afrika gehen können, um zu helfen. Punkt. Das also als Auszug aus
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meinen Gedanken.
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Nun sehe ich aber auch, dass die Leute hier glücklich, ja wirklich
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glücklich sind. Wahrscheinlich sogar glücklicher als wir, die wir uns
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sorgenfrei neue Sorgen schaffen und das dann Fortschrittlichkeit
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nennen. Unsere Maßstäbe passen nicht überall, Werte aber manchmal
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schon eher. Auch wenn die Leute glücklich sind, sollte man ihre Lage
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nicht verschlechtern, nur um in seiner Richtung weiter zu kommen. Mit
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welchem Recht zerstören wir eigentlich einen Planeten, auf dem sie
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noch nicht einmal die Möglichkeit hatten genau so ``toll'' (schlimm)
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wie wir zu werden. Wissen bringt ``Macht''. Naja wohl eher
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``Freiheit''.
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Hier auf Fiji weiß man um den westlichen Lebensstil und steht darüber,
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auch wenn man den Touristen zuliebe ein paar Spiegelbilder aufstellt
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und seine Sprache zu einem einzelnen Wort ``Bulla'' (``Hallo'')
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verkrüppelt. Zur Erinnerung daran wird man dann von allen Seiten damit
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beschmissen. Bulla sagt der Verkäufer, an dessen Stand ich einen
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Bullachino bestelle, nachdem ich mir ein Bulla-Shirt (Fiji braucht ja
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auch ''Hawai-Hemden'') bei Bulla-Looks (Ok, der Laden heißt
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Jack's\ldots{} und ich habe mir keines gekauft) gekauft habe.
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\begin{figure}[h]
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\centering
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\includegraphics[width=\textwidth]{12/daylight_view.JPG}
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\mycap{\centering Die Korallen wurden von einem kleinen Tsunami in mitleidenschaft genommen.}
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\end{figure}
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Aber zurück zum Text. Würde hier jedes Kind Zugang zu Bildung haben,
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so wäre es nicht zwangsläufig glücklicher, dafür jedoch freier zu
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werden, was es eben werden will. Vielleicht ist das ein
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Ansatzpunkt. Auch wenn ich aus dem Wust der Gedanken, den ich hier
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nicht noch weiter ausrollen möchte, den ich aber in einer OneNote
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Übersicht zu systematisieren versuche, noch keine klare Linie
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herausziehen kann, so habe ich doch schon eine gewisse Synthese
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gewonnen. Um so mehr der einzelne voran kommt, ohne andere zurück zu
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stoßen, um so mehr kommt das Ganze voran. Um so besser der Einzelne
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wird, ohne anderen zu schaden, um so besser wird das Ganze. Das klingt
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in meinen Ohren recht egoistisch, ist jedoch das zufriedenstellendste,
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das ich bisher hervorgebracht habe. Lebe, so gut du kannst, und
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verschließe deine Augen nicht vor deinen Fehlern. Sollte ich einmal zu
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Reichtum kommen, so setze ich ihn weise ein, sodass er zu einem
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Reichtum aller wird. Holla, Marx grüßt.
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Bis dann, alsbald, euer Valentin, der sich das Ganze endlich einmal
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vom Herzen geschrieben hat.
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Ps: Ich bin jetzt bei einem neuen Host und es ist wunderschön. Mehr
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dazu später.
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