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Valentin Boettcher 2023-04-30 20:30:22 -04:00
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@ -4189,6 +4189,224 @@ Gehabt euch gut und bis zum nächsten mal.
#+DOWNLOADED: file:///home/hiro/Pictures/Canada/Doubt%20Day%20Walk/LMC_20230109_154655_OP6.T-BASIC.jpg @ 2023-01-09 17:15:01
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*** Better Late than Never
CLOSED: [2023-04-30 Sun 20:28]
:PROPERTIES:
:EXPORT_FILE_NAME: better-late-than-never
:ID: e3cf2c55-6c73-40cc-ab6a-48956e022e72
:END:
Hallo miteinander. Nach hundert Jahren Schweigen und Stille, in denen
ich euch nur mit ineffizienter Individualkommunikation auf dem
Laufenden hielt, kommt jetzt endlich wieder eine neue persönliche
Stellungname. Straight from the horses mouth.
Bullshit beiseite: Nach meinem letzten Blogpost ging ich mit meinen
Bürokollegen Bowlen, unternahm diverse Wanderungen und besuchte
diverse Konzerte. Mit jedem neuen Erlebnis wurde die Hemmschwelle
einen Blogeintrag zu verfassen ein bisschen größer, gab es doch
/noch/ mehr Berichten.
Deswegen jetzt: Tabula Raza. Zusammenfassend kann ich
resümieren[fn::See what I did here :P?], dass man durch den McGill
Outdoors Club viele nette Menschen kennenlernt und dass der Winter in
Montreal /sehr/ lange dauert. Mittlerweile bin ich auf den
Langlaufskiers recht kompetent und auch nicht ganz triviale Abfahrten
kann ich jetzt mit sich in Grenzen haltenden entsetzen meistern.
Durch unglückliche Zeitplanung und mein Unvermögen nicht
100 Prozent geben zu können habe ich die letzten Wochen absurd viel
Zeit in das Lösen von Hausaufgaben investiert.
Fast forward... Nun sitze ich am späteren Samstagnachmittag in meinem
Lieblingskaffee, um meine Bemühungen vom Mittwoch fortzuführen. Wie
schon erwähnt, werde ich diesmal wohl davon absehen ein allzu wortreiches
Epos zu verfassen und mich auf die nähere Zukunft beschränken.
Als PhD Student muss ich nur zwei Vorlesungen besuchen und schöner
Weise läuft die Sache hier auf den fortgeschrittenen Ebenen, im
Gegensatz zu DD, ohne schriftliche oder mündliche Prüfung ab. Dafür
muss man aber Hausaufgaben einreichen und einen Vortrag über ein
fortgeschrittenes Thema halten. Die Hausaufgaben werden auch nicht so
lasch wie in Dresden gehandhabt, und es zählt jeder Punkt. Das hat
mich natürlich munter zum Freidrehen motiviert. Aus meinem bisherigen
Studium war ich gewöhnt die meisten Übungsaufgaben ohne große
Anfälle von Verzweiflung lösen zu können, auch weil sie eher
pädagogisch formuliert waren:
#+BEGIN_QUOTE
a) Zeigen Sie dies...
b) Nutzen sie jenes...
c) Sie sollten dieses Ergebnis erzielt haben. Zeigen sie nun, dass ...
#+END_QUOTE
Diese Übungen waren nun ein neues Kaliber. Nie ist man sich sicher, ob
die Rechnung so ausarten sollte, oder ob man vor zwei Stunden falsch
abgebogen war. Ein großer Selbstzweifel überkam mich, da ich es noch
nie erlebt hatte fast eine Arbeitswoche zum Lösen von nur einem
Übungsblatt zu benötigen. Zwar sagten mir alle, dass dieser Kurs für
seine aufwändigen Übungen bekannt war, und auch mein Betreuer Bill meinte,
dass diese Aufgaben durchaus ein anderes Kaliber hatten, aber so ganz
geglaubt habe ich keinem. Ab der dritten Übung dann hatte ich mir
dann die Philosophie aus
[[https://www.goodreads.com/book/show/28257707-the-subtle-art-of-not-giving-a-f-ck][The
Subtle Art of Not Giving a F*ck]] zu eigen gemacht und aufgehört mich
zu ärgern, wenn der Ärger absolut keinen Mehrwert hat. Außerdem konnte ich
so meinem Forschungsprojekt entfliehen, dass mich Mangels klarer
Definition und Angriffspunkten als wenig attraktiv für mich
darstellte. Tatsächlich hatte ich Bill eine sehr lange und
mühsam über eine Woche zusammengeschriebene E-Mail geschickt um ihm
zu erklären, welche Probleme ich im aktuellen Projekt sehe.
Wie sich dann herausstellte hatte ich die Sache etwas falsch
verstanden, und es ging gar nicht ausschließlich darum neue
Experimente für die Gruppe an der Université de Montréal vorzuschlagen
und auf Gedei und Verderb alles in diese Richtung zu biegen. Da ich
anscheinend ungern Klartext rede, hatte ich zu viel zwischen den
Zeilen gelesen. Das passiert mir auch weiterhin, aber besonders in der
letzten Woche hatte ich doch etwas Freude am Forschen gefunden,
wenngleich mir alles trivial vorkommt. Gleichzeitig habe ich Schiss
davor nachzudenken, weil ich dann womöglich "Zeit verschwende". So ein
Quatsch. Ich versuche nun meine Idee des "Doubt Day" weiterhin
umzusetzen und mir eine Meinung zu bilden. Zurzeit weiß ich nur, dass
ich immer noch kein gutes Bild von meinen Forschungsmöglichkeiten
habe. Sollte ich nach dem Sommer immer noch Zweifel haben, muss ich
noch einmal in mich gehen, aber im Augenblick sehe ich die Sache eher
entspannt.
Zurück zum Text: Zwischen dem Lösen von Übungsaufgaben und der
Zuarbeit für das Paper mit meiner ehemaligen Gruppe in Dresden,
welches immer noch weit von einer Veröffentlichung entfernt scheint,
habe ich es also geschafft mehr als drei Wochen nicht am Projekt zu
arbeiten. Die letzte Übung war besonders spannend, da wir nur ein
wenige Tage nach deren Fälligkeit unsere Abschlussvorträge halten
sollten. Also gab ich Vollgas und verzichtete auf die Osterfeiertage,
so wie es sich für einen ordentlichen Studenten gehört. Da ich aber
gelernt hatte, dass es sich nicht lohnt auf Verschleiß zu fahren, nahm
ich mir dann wenigstens den Ostersonntag frei, wenngleich unter
Gewissensbissen, welche sich im Nachhinein als unnötig
herausstellten. Zum ersten Mal gelang es mir, einfach eine andere
Aufgabe anzugehen, wenn mir die Ideen ausgingen. Und zuweilen hatte
ich sogar richtiggehend /Spaß/. Damit wurde ich dann am Montag fertig
und hatte dann eine ganze Woche, meinen Vortrag über topologische
Bandstrukturen vorzubereiten. Praktischerweise ist dies auch ein
Thema, welches ich für meine Forschungsarbeit zumindest Rudimentär
kennen sollte.
#+BEGIN_QUOTE
Work complicates to fill the available time. -- Cyril Northcote Parkinson
#+END_QUOTE
Also verbrachte ich die Woche, einschließlich des Wochenendes mit der
Vorbereitung dieses Vortrags. Am Montag hielt ich ihn dann mit recht
gutem Erfolg, vor allem weil ich halbwegs im Zeitrahmen blieb. Den
darauffolgenden Dienstag nahm ich mir frei um eine monströse und
teilweise verstörende 80km Fahrradtour auf der Westinsel zu machen.
(Ich schreibe jetzt schon wieder eine Woche später weiter :P. Ich
sollte wirklich ein wenig mehr Durchhaltevermögen demonstrieren.)
Das Wetter an jenem Tag war etwas durchwachsen, aber in der Nähe des
Parc René-Lévesque zeigte sich doch einmal die Sonne und dank des
starken Windes und dementsprechenden Wellengang konnte man sich fast
am Meer wägen.
Danach allerdings musste ich immer öfter auf die Straße ausweichen und
leider stellte sich auch mein eigentliches Ziel, das
Cap-Saint-Jacques, als Enttäuschung heraus. Das graue Wetter und der
Jahreszeit geschuldeten Mangel an Grünem ergab ein eher tristes
Bild. Der Rückweg ist mir eine Leere, dass Google Maps kein
Routenplaner für /schöne/ Fahrradtouren ist. Ich befuhr endlose
holprige Radwege an viel befahrenen Straßen durch eine Suburbane
Höllenlandschaft, eingekeilt zwischen zwei Highways. Das lässt mich
mein Zimmer im Plateau umso mehr schätzen!
#+DOWNLOADED: file:///home/hiro/Pictures/Canada/West%20Island%20Ride/LMC_20230418_125547_OP6.T-BASIC.jpg @ 2023-04-30 20:25:07
#+CAPTION: Wilkommen and der Nordsee.
[[attachment:2023-04-30_20-25-07_LMC_20230418_125547_OP6.T-BASIC.jpg]]
#+DOWNLOADED: file:///home/hiro/Pictures/Canada/West%20Island%20Ride/LMC_20230418_142829_OP6.T-BASIC.jpg @ 2023-04-30 20:25:59
#+CAPTION: Eher trist...
[[attachment:2023-04-30_20-25-59_LMC_20230418_142829_OP6.T-BASIC.jpg]]
#+DOWNLOADED: file:///home/hiro/Pictures/Canada/West%20Island%20Ride/LMC_20230418_154105_OP6.T-BASIC.jpg @ 2023-04-30 20:26:32
#+CAPTION: Suburbane Hoelle...
[[attachment:2023-04-30_20-26-32_LMC_20230418_154105_OP6.T-BASIC.jpg]]
Die darauffolgende Woche war ich sehr darauf erpicht irgendwie
Resultate zu erwirtschaften, da mein bisheriger Fortschritt nicht
wirklich nennenswert war. Es ist sehr viel einfacher sich auf eine
Vorlesung und deren Übungen zu konzentrieren, als sich mit
tatsächlichen Forschungsfragen herumzuschlagen. Vieles fühlt sich im
ersten Moment zu trivial an und man weiß auf der anderen Seite nie,
ob man nicht gerade in eine komplett falsche Richtung bohrt.
Ich nahm mir also ein "einfaches" Problem welches schnell Resultate
abzuwerfen versprach und fütterte den Computer damit [fn::Ich liebe
https://julialang.org/.]. Long story short: Nichts funktionierte trotz
mehrfacher Adaption und Vergleich mit einer analytischen Lösung. Meine
Ergebnisse stellte ich dann in einem Meeting mit den Experimentalisten
letzten Mittwoch vor. Am Tag zuvor hatte ich mich schon mit Bill
(meinem Supervisor) unterhalten und er war felsenfest davon
überzeugt, dass eine bestimmte Art von Messung schon jetzt
durchgeführt wird, wohingegen ich mich nicht daran erinnern konnte
so etwas gehört zu haben. Also sprach ich das im Meeting an und siehe
da: Es stellt sich heraus, dass sich alle fröhlich einander
zustimmend missverstanden haben.
Meine Ergebnisse waren leider nicht positiv, da ich nur zeigen konnte,
dass das Experiment mit bestimmten Parametern /nicht/
funktioniert. Wie Bill und mir dann /während/ des Meetings einfiel,
standen meine Ergebnisse zudem im augenscheinlichen Widerspruch zu
denen meines "Vorgängers". Wir kamen zu dem Schluss, dass ich wohl
einen Fehler gemacht haben musste, da seine Ergebnisse "schöner"
waren.
Als ich dann den Code erhielt, mit dem besagter Vorgänger gearbeitet
hatte, stellte ich zu meiner Verblüffung[fn::und zugegeben, mit
einiger Genugtuung] fest, dass dieser Zahlen ausspuckte, die im Grunde
mit meinen konsistent waren. Tatsächlich wurden die Ergebnisse einfach
mit einem Faktor zwei multipliziert, um das gewünschte verhalten zu
herauszukitzeln. Erfreulicherweise hatte ich nur wenig zuvor einen
Limes des Modells "entdeckt"[fn::Das ist keine neues resultat.],
sodass mir sofort klar wurde was Phase ist.
Wenn man Bill von seiner Arbeit berichtet, dann muss man in der Lage
sein alles zu belegen, was man behauptet, denn er gibt sich nicht
zufrieden, biss auch er das Meiste verstanden hat. Das ist eine gute
Sache und zwingt mich ordentliche Notizen zu machen. Mit diesen konnte
ich ihn dann Überzeugen und von da an mit neuem Selbstvertrauen
voranschreiten. Tatsächlich gelang es mir dann am Freitag eine Lösung
für unser "Problem" zu demonstrieren, was mir sogar ein Lob von Bill
einbrachte. Nun gilt es dieser Weiter auszubauen und zu
verstehen. Bill scheint schon alles klar zu sein, aber für mich trifft
das leider (oder schöner Weise) noch nicht zu.
Zum ersten Mal seit langem kann ich mich also auf die Arbeitswoche
freuen!
Ich versuche auch anderweitig das Beste aus meiner Zeit hier zu machen
und schließe mich dementsprechend bei allen Unternehmungen an, die
mir so unter die Nase kommen. So war kürzlich ich Laser-Tag spielen und baute
einen intelligent designten Pflanzkübel aus alten Eimern. All das
sind nun aber Geschichten für ein andermal, denn der ihnen
vorliegende Roman ist schon lang genug.
Damit: Bis zum nächsten Mal. Hoffentlich in Bälde und weniger
chaotisch.
#+DOWNLOADED: file:///home/hiro/Pictures/Canada/Random%20MTL/LMC_20230405_223709_OP6.T-BASIC.jpg @ 2023-04-30 20:27:18
#+CAPTION: Montreal bei Nacht.
[[attachment:2023-04-30_20-27-18_LMC_20230405_223709_OP6.T-BASIC.jpg]]
#+DOWNLOADED: file:///home/hiro/Pictures/Canada/Belvedere%20Outremont/LMC_20230327_191348_OP6.T-BASIC.jpg @ 2023-04-30 20:28:08
#+CAPTION: Sonnenuntergang an der Belvedere Outremont.
[[attachment:2023-04-30_20-28-08_LMC_20230327_191348_OP6.T-BASIC.jpg]]
* Local Vars
# Local Variables:

View file

@ -0,0 +1,205 @@
+++
title = "Better Late than Never"
author = ["Valentin Boettcher"]
date = 2023-04-30T20:28:00-04:00
categories = ["Canada"]
draft = false
+++
Hallo miteinander. Nach hundert Jahren Schweigen und Stille, in denen
ich euch nur mit ineffizienter Individualkommunikation auf dem
Laufenden hielt, kommt jetzt endlich wieder eine neue persönliche
Stellungname. Straight from the horses mouth.
Bullshit beiseite: Nach meinem letzten Blogpost ging ich mit meinen
Bürokollegen Bowlen, unternahm diverse Wanderungen und besuchte
diverse Konzerte. Mit jedem neuen Erlebnis wurde die Hemmschwelle
einen Blogeintrag zu verfassen ein bisschen größer, gab es doch
_noch_ mehr Berichten.
Deswegen jetzt: Tabula Raza. Zusammenfassend kann ich
resümieren[^fn:1], dass man durch den McGill
Outdoors Club viele nette Menschen kennenlernt und dass der Winter in
Montreal _sehr_ lange dauert. Mittlerweile bin ich auf den
Langlaufskiers recht kompetent und auch nicht ganz triviale Abfahrten
kann ich jetzt mit sich in Grenzen haltenden entsetzen meistern.
Durch unglückliche Zeitplanung und mein Unvermögen nicht
100 Prozent geben zu können habe ich die letzten Wochen absurd viel
Zeit in das Lösen von Hausaufgaben investiert.
Fast forward... Nun sitze ich am späteren Samstagnachmittag in meinem
Lieblingskaffee, um meine Bemühungen vom Mittwoch fortzuführen. Wie
schon erwähnt, werde ich diesmal wohl davon absehen ein allzu wortreiches
Epos zu verfassen und mich auf die nähere Zukunft beschränken.
Als PhD Student muss ich nur zwei Vorlesungen besuchen und schöner
Weise läuft die Sache hier auf den fortgeschrittenen Ebenen, im
Gegensatz zu DD, ohne schriftliche oder mündliche Prüfung ab. Dafür
muss man aber Hausaufgaben einreichen und einen Vortrag über ein
fortgeschrittenes Thema halten. Die Hausaufgaben werden auch nicht so
lasch wie in Dresden gehandhabt, und es zählt jeder Punkt. Das hat
mich natürlich munter zum Freidrehen motiviert. Aus meinem bisherigen
Studium war ich gewöhnt die meisten Übungsaufgaben ohne große
Anfälle von Verzweiflung lösen zu können, auch weil sie eher
pädagogisch formuliert waren:
> a) Zeigen Sie dies...
> b) Nutzen sie jenes...
> c) Sie sollten dieses Ergebnis erzielt haben. Zeigen sie nun, dass ...
Diese Übungen waren nun ein neues Kaliber. Nie ist man sich sicher, ob
die Rechnung so ausarten sollte, oder ob man vor zwei Stunden falsch
abgebogen war. Ein großer Selbstzweifel überkam mich, da ich es noch
nie erlebt hatte fast eine Arbeitswoche zum Lösen von nur einem
Übungsblatt zu benötigen. Zwar sagten mir alle, dass dieser Kurs für
seine aufwändigen Übungen bekannt war, und auch mein Betreuer Bill meinte,
dass diese Aufgaben durchaus ein anderes Kaliber hatten, aber so ganz
geglaubt habe ich keinem. Ab der dritten Übung dann hatte ich mir
dann die Philosophie aus
[The
Subtle Art of Not Giving a F\*ck](https://www.goodreads.com/book/show/28257707-the-subtle-art-of-not-giving-a-f-ck) zu eigen gemacht und aufgehört mich
zu ärgern, wenn der Ärger absolut keinen Mehrwert hat. Außerdem konnte ich
so meinem Forschungsprojekt entfliehen, dass mich Mangels klarer
Definition und Angriffspunkten als wenig attraktiv für mich
darstellte. Tatsächlich hatte ich Bill eine sehr lange und
mühsam über eine Woche zusammengeschriebene E-Mail geschickt um ihm
zu erklären, welche Probleme ich im aktuellen Projekt sehe.
Wie sich dann herausstellte hatte ich die Sache etwas falsch
verstanden, und es ging gar nicht ausschließlich darum neue
Experimente für die Gruppe an der Université de Montréal vorzuschlagen
und auf Gedei und Verderb alles in diese Richtung zu biegen. Da ich
anscheinend ungern Klartext rede, hatte ich zu viel zwischen den
Zeilen gelesen. Das passiert mir auch weiterhin, aber besonders in der
letzten Woche hatte ich doch etwas Freude am Forschen gefunden,
wenngleich mir alles trivial vorkommt. Gleichzeitig habe ich Schiss
davor nachzudenken, weil ich dann womöglich "Zeit verschwende". So ein
Quatsch. Ich versuche nun meine Idee des "Doubt Day" weiterhin
umzusetzen und mir eine Meinung zu bilden. Zurzeit weiß ich nur, dass
ich immer noch kein gutes Bild von meinen Forschungsmöglichkeiten
habe. Sollte ich nach dem Sommer immer noch Zweifel haben, muss ich
noch einmal in mich gehen, aber im Augenblick sehe ich die Sache eher
entspannt.
Zurück zum Text: Zwischen dem Lösen von Übungsaufgaben und der
Zuarbeit für das Paper mit meiner ehemaligen Gruppe in Dresden,
welches immer noch weit von einer Veröffentlichung entfernt scheint,
habe ich es also geschafft mehr als drei Wochen nicht am Projekt zu
arbeiten. Die letzte Übung war besonders spannend, da wir nur ein
wenige Tage nach deren Fälligkeit unsere Abschlussvorträge halten
sollten. Also gab ich Vollgas und verzichtete auf die Osterfeiertage,
so wie es sich für einen ordentlichen Studenten gehört. Da ich aber
gelernt hatte, dass es sich nicht lohnt auf Verschleiß zu fahren, nahm
ich mir dann wenigstens den Ostersonntag frei, wenngleich unter
Gewissensbissen, welche sich im Nachhinein als unnötig
herausstellten. Zum ersten Mal gelang es mir, einfach eine andere
Aufgabe anzugehen, wenn mir die Ideen ausgingen. Und zuweilen hatte
ich sogar richtiggehend _Spaß_. Damit wurde ich dann am Montag fertig
und hatte dann eine ganze Woche, meinen Vortrag über topologische
Bandstrukturen vorzubereiten. Praktischerweise ist dies auch ein
Thema, welches ich für meine Forschungsarbeit zumindest Rudimentär
kennen sollte.
> Work complicates to fill the available time. -- Cyril Northcote Parkinson
Also verbrachte ich die Woche, einschließlich des Wochenendes mit der
Vorbereitung dieses Vortrags. Am Montag hielt ich ihn dann mit recht
gutem Erfolg, vor allem weil ich halbwegs im Zeitrahmen blieb. Den
darauffolgenden Dienstag nahm ich mir frei um eine monströse und
teilweise verstörende 80km Fahrradtour auf der Westinsel zu machen.
(Ich schreibe jetzt schon wieder eine Woche später weiter :P. Ich
sollte wirklich ein wenig mehr Durchhaltevermögen demonstrieren.)
Das Wetter an jenem Tag war etwas durchwachsen, aber in der Nähe des
Parc René-Lévesque zeigte sich doch einmal die Sonne und dank des
starken Windes und dementsprechenden Wellengang konnte man sich fast
am Meer wägen.
Danach allerdings musste ich immer öfter auf die Straße ausweichen und
leider stellte sich auch mein eigentliches Ziel, das
Cap-Saint-Jacques, als Enttäuschung heraus. Das graue Wetter und der
Jahreszeit geschuldeten Mangel an Grünem ergab ein eher tristes
Bild. Der Rückweg ist mir eine Leere, dass Google Maps kein
Routenplaner für _schöne_ Fahrradtouren ist. Ich befuhr endlose
holprige Radwege an viel befahrenen Straßen durch eine Suburbane
Höllenlandschaft, eingekeilt zwischen zwei Highways. Das lässt mich
mein Zimmer im Plateau umso mehr schätzen!
{{< figure src="/ox-hugo/2023-04-30_20-25-07_LMC_20230418_125547_OP6.T-BASIC.jpg" caption="<span class=\"figure-number\">Figure 1: </span>Wilkommen and der Nordsee." >}}
{{< figure src="/ox-hugo/2023-04-30_20-25-59_LMC_20230418_142829_OP6.T-BASIC.jpg" caption="<span class=\"figure-number\">Figure 2: </span>Eher trist..." >}}
{{< figure src="/ox-hugo/2023-04-30_20-26-32_LMC_20230418_154105_OP6.T-BASIC.jpg" caption="<span class=\"figure-number\">Figure 3: </span>Suburbane Hoelle..." >}}
Die darauffolgende Woche war ich sehr darauf erpicht irgendwie
Resultate zu erwirtschaften, da mein bisheriger Fortschritt nicht
wirklich nennenswert war. Es ist sehr viel einfacher sich auf eine
Vorlesung und deren Übungen zu konzentrieren, als sich mit
tatsächlichen Forschungsfragen herumzuschlagen. Vieles fühlt sich im
ersten Moment zu trivial an und man weiß auf der anderen Seite nie,
ob man nicht gerade in eine komplett falsche Richtung bohrt.
Ich nahm mir also ein "einfaches" Problem welches schnell Resultate
abzuwerfen versprach und fütterte den Computer damit&nbsp;[^fn:2]. Long story short: Nichts funktionierte trotz
mehrfacher Adaption und Vergleich mit einer analytischen Lösung. Meine
Ergebnisse stellte ich dann in einem Meeting mit den Experimentalisten
letzten Mittwoch vor. Am Tag zuvor hatte ich mich schon mit Bill
(meinem Supervisor) unterhalten und er war felsenfest davon
überzeugt, dass eine bestimmte Art von Messung schon jetzt
durchgeführt wird, wohingegen ich mich nicht daran erinnern konnte
so etwas gehört zu haben. Also sprach ich das im Meeting an und siehe
da: Es stellt sich heraus, dass sich alle fröhlich einander
zustimmend missverstanden haben.
Meine Ergebnisse waren leider nicht positiv, da ich nur zeigen konnte,
dass das Experiment mit bestimmten Parametern _nicht_
funktioniert. Wie Bill und mir dann _während_ des Meetings einfiel,
standen meine Ergebnisse zudem im augenscheinlichen Widerspruch zu
denen meines "Vorgängers". Wir kamen zu dem Schluss, dass ich wohl
einen Fehler gemacht haben musste, da seine Ergebnisse "schöner"
waren.
Als ich dann den Code erhielt, mit dem besagter Vorgänger gearbeitet
hatte, stellte ich zu meiner Verblüffung[^fn:3] fest, dass dieser Zahlen ausspuckte, die im Grunde
mit meinen konsistent waren. Tatsächlich wurden die Ergebnisse einfach
mit einem Faktor zwei multipliziert, um das gewünschte verhalten zu
herauszukitzeln. Erfreulicherweise hatte ich nur wenig zuvor einen
Limes des Modells "entdeckt"[^fn:4],
sodass mir sofort klar wurde was Phase ist.
Wenn man Bill von seiner Arbeit berichtet, dann muss man in der Lage
sein alles zu belegen, was man behauptet, denn er gibt sich nicht
zufrieden, biss auch er das Meiste verstanden hat. Das ist eine gute
Sache und zwingt mich ordentliche Notizen zu machen. Mit diesen konnte
ich ihn dann Überzeugen und von da an mit neuem Selbstvertrauen
voranschreiten. Tatsächlich gelang es mir dann am Freitag eine Lösung
für unser "Problem" zu demonstrieren, was mir sogar ein Lob von Bill
einbrachte. Nun gilt es dieser Weiter auszubauen und zu
verstehen. Bill scheint schon alles klar zu sein, aber für mich trifft
das leider (oder schöner Weise) noch nicht zu.
Zum ersten Mal seit langem kann ich mich also auf die Arbeitswoche
freuen!
Ich versuche auch anderweitig das Beste aus meiner Zeit hier zu machen
und schließe mich dementsprechend bei allen Unternehmungen an, die
mir so unter die Nase kommen. So war kürzlich ich Laser-Tag spielen und baute
einen intelligent designten Pflanzkübel aus alten Eimern. All das
sind nun aber Geschichten für ein andermal, denn der ihnen
vorliegende Roman ist schon lang genug.
Damit: Bis zum nächsten Mal. Hoffentlich in Bälde und weniger
chaotisch.
{{< figure src="/ox-hugo/2023-04-30_20-27-18_LMC_20230405_223709_OP6.T-BASIC.jpg" caption="<span class=\"figure-number\">Figure 4: </span>Montreal bei Nacht." >}}
{{< figure src="/ox-hugo/2023-04-30_20-28-08_LMC_20230327_191348_OP6.T-BASIC.jpg" caption="<span class=\"figure-number\">Figure 5: </span>Sonnenuntergang an der Belvedere Outremont." >}}
[^fn:1]: See what I did here :P?
[^fn:2]: Ich liebe
<https://julialang.org/>.
[^fn:3]: und zugegeben, mit
einiger Genugtuung
[^fn:4]: Das ist keine neues resultat.