Sei $f:D\subset K^n\to K^{m\times n}$ ($\cong L(K^n, K^m)$)
\begin{underlinedenvironment}[Frage]
Existiert eine Funktion $F$ mit $F' = f$ auf $D$?
\end{underlinedenvironment}
\begin{*definition}
$F: D\subset K^n\to K^m$ heißt \begriff{Stammfunktion} oder \emph{unbestimmtes}\begriff{Integral}[!unbestimmt] von $f$ auf $D$, falls $F$\gls{diffbar} und $F'(x)= f(x)$$\forall x\in D$
Sei $F:D\subset K^n\to K^m$ Stammfunktion von $f:D\to K^{m\times n}$ und sei $D\subset K^n$ Gebiet\marginnote{Gebiet = offen \& zusammenhängend}. Dann:
\begin{tabularx}{\linewidth}{X@{\ \ }c@{\ \ }X}
\hfill$\tilde{F}$ ist Stammfunktion von $f$ auf $D$&$\Leftrightarrow$&$\tilde{F}= F + c$ für $c\in K^{m}$
\end{tabularx}
Falls $f$ eine Stammfunktion besitzt, dann gibt es eine Menge von Stammfunktionen, die auf einem Gebiet bis auf eine additive Konstante eindeutig bestimmt sind. Für eine Stammfunktion schreibt man auch \begin{align*}
\int f \D x \text{ bzw. }\int f(x) \D x
\end{align*}
Das Symbol steht für die \emph{Menge} aller Stammfunktionen. Man schreibt aber auch \begin{align*}
F = \int f \D x,
\end{align*} falls es \emph{eine} Stammfuznktion gleich $F$ gibt.
Weiterhin verwendet man $\int f\D x$ auch als Bezeichnung für den \emph{Funktionswert}$F(x)$ einer Stammfunktion $F$ von $f$. Somit Vorsicht bei der Bezeichnung (vgl. Kontext).
\end{proposition}
\begin{proof}
\marginnote{Intervall $I\subset\mathbb{R}$ sind zusammenhängend}\hspace*{0pt}
$\xRightarrow{\propref{mittelwertsatz_ableitung_null_konstante_funktion}}$$\tilde{F}(x)- F(x)= c$ für ein $c\in K^m$
\end{itemize}
\end{proof}
Sei $f,g:D\subset K^n\to K^{m\times n}$, $D$ Gebiet, $c\in K$. Dann liefert \propref{stammfunktion_uneindeutigkeit_stammfunktion} und Differentiationsregeln
\begin{equation}\label{xx}
\begin{split}
\int (f\pm g) \D x &= \int f \D x \pm\int g \D x \\
\int c f \D x &= c \int f \D x
\end{split}
\end{equation}
Falls jeweils die rechte Seite existiert, d.h. $f\to\int f\D x$ ist in gewisser Weise linear.
\begin{underlinedenvironment}
Aussage bleibt richtig, wenn $D$ nur offen, wir beschränken uns meist aber auf Gebiete.
\end{underlinedenvironment}
Betrachte zunächst den \emph{Spezialfall}$n=m=1$. Sei $f:D\subset K\to K$, $D$ offen. Die Beispiele zur Differentiation liefern folgende Stammfunktionen
Zeige $\int\ln x \D x = x\ln x - x$ auf $\mathbb{R}_{>0}$, denn \begin{align*}
\int\ln x \D x = \int\underbrace{1\cdot\ln x}_{g\cdot F}\overset{\eqref{stammfunktion_partielle_integration_eq}}{=} x\cdot\ln x - \int x\cdot\frac{1}{x}\D x = x\cdot\ln x - x\end{align*}
\int\underbrace{2x\cdot e^x}_{\tilde{F}\cdot\tilde{g}}\D x &\overset{\eqref{stammfunktion_partielle_integration_eq}}{=}\underbrace{2x\cdot e^x}_{\tilde{F}\cdot\tilde{G}} - \int\underbrace{2 e^x}_{\tilde{f}\cdot\tilde{G}}\D x = 2 x e^x - 2 e^x
\end{align*}
$\Rightarrow$$\int x^2 e^x \D x = x^2 e^x -2 x e^x +2 e^x = e^x (x^2-2x +2)$
\end{example}
\begin{proposition}[Integration durch Substitution]
\proplbl{stammfunktion_substitution}
Sei $f:D\subset K\to K$, $D$ Gebiet, mit Stammfunktion $F:D\to K$ und sei $\phi:D\to D$\gls{diffbar}. Dann hat $f(\phi(.))\cdot\phi'(.):D\to K$ eine Stammfunktion mit \begin{align}
\proplbl{stammfunktion_substitution_eq}
\int f(\phi(x))\cdot\phi'(x)\D x &= F(\phi(x))
\end{align}
\end{proposition}
\begin{underlinedenvironment}[Interpretation]
analog zu \eqref{stammfunktion_partielle_integration_eq}
\end{underlinedenvironment}
\begin{remark}
\eqref{stammfunktion_substitution_eq} kann als Umkehrung der Kettenregel angesehen werden.
\end{remark}
\begin{proof}
$F(\phi(.))$ ist nach der Kettenregel auf $D$\gls{diffbar} mit \begin{align*}
$\Rightarrow$&$x_j \to F(x_1, \dotsc, x_j, \dotsc, x_n)$ ist Stammfunktion von $x_j \to f_j(x_1, \dotsc, x_j, \dotsc, x_n)$. Hierbei sind $x_i$ mit $i\neq j$ als Parameter anzusehen. \\
$\Rightarrow$& Ist $x_j \to F_j(x_1, \dotsc, x_j, \dotsc, x_n)$\emph{eine} Stammfunktion von $x_j\to f_j(x_1, \dotsc, x_j, \dotsc, x_n)$, dann erhält man \emph{alle} Stammfunktionen durch Addition einer Konstanten, die jedoch von den Parametern abhängen kann, d.h. durch
Offenbar kann \eqref{stammfunktion_beispiel_reduktion_schritt1} nur gelten, falls rechte Seite unabhängig von $x$, d.h. für $\alpha=2$ (für $\alpha\neq2$ existiert \emph{keine} Stammfunktion von $f$). \\
$\Rightarrow$$F(x,y)= F_1(x,y)+\phi_1(y)= F_2(x,y)+\phi_2(x,y)= x^2 y +\frac{1}{3} y^3+ c$, $c\in\mathbb{R}$ beliebig, sind alle Stammfunktionen von $f$ (Probe!).
\end{example}
\begin{remark}
\vspace*{0pt}
\begin{itemize}
\item Mit obiger Strategie wird die Bestimmung einer Stammfunktion auf $n=1$ zurückgeführt.
\item Nicht alle Funktionen besitzen eine Stammfunktion
\end{itemize}
\end{remark}
\begin{underlinedenvironment}[Ausblick auf Kapitel 27]
In Kapitel 27 formulieren wir eine notwendige Bedingung im Satz 27.18 ("`Integrabilitätsbedingung"') für die Existenz einer Stammfunktion (die in gewissen Mengen $D$ auch hinreichend ist): \begin{align*}
\frac{\partial}{\partial x_j} f_i(x) &= \frac{\partial}{\partial x_i} f_j(x) \quad\forall i,j,x\in D